Praxisinterview Dr. Laila El-Masri – Primstal: Als Hausärztin aufs Land? Jederzeit…

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Dr. Laila El-Masri ist seit 2013 in Primstal als Hausärztin niedergelassen, hat also eine echte „SaarLandArztPraxis“. Zunächst in Einzelpraxis, seit 2016 gemeinsam mit ihrem Ehemann, Dr. Stephan Gerdelmann. An der Niederlassung schätzt sie besonders die Möglichkeiten, Familie und Beruf miteinander vereinbaren zu können und in der Praxis eigene Schwerpunkte setzen zu können.

Dr. Laila El-Masri - Hausärztin in Primstal (Foto: Ärztekammer des Saarlandes)
Dr. Laila El-Masri – Hausärztin in Primstal (Foto: Ärztekammer des Saarlandes)

Viele Ärztinnen entscheiden sich gegen eine Niederlassung und stattdessen für andere Berufsfelder, weil sie denken, dass sich die Niederlassung schlecht mit Familie und Beruf vereinbaren lässt. Sie haben eine klassische Landarztpraxis. Wie sehen Sie das?

Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass die Niederlassung und die Familie sich sehr gut vereinbaren lassen. Was mich betrifft, auf jeden Fall besser als mit der Krankenhaustätigkeit.  In meiner eigenen Praxis kann ich die Sprechzeiten auch nach den Bedürfnissen der Familie ausrichten. Ich habe zum Beispiel die Möglichkeit durch die geteilten Dienste mittags mit meinen Kindern gemeinsam zu Mittag zu essen und nach den Hausaufgaben zu schauen und dann im zweiten Schritt nochmal zur Nachmittagssprechstunde zu fahren.

Man kann sich das auch so einteilen, dass man einzelne Nachmittage ganz frei hat in der niedergelassenen Praxis.  Dafür fällt natürlich auch Arbeit außerhalb der Sprechstundenzeiten an. Deshalb habe ich z.B. auch zuhause einen Büroarbeitsplatz mit Zugang zum Praxisserver eingerichtet. So kann ich arbeiten, ohne eine Betreuung für die Kinder organisieren zu müssen. Ich sehe mir dann z.B. Befunde an oder kontrolliere Untersuchungen, wie z.B. Langzeit-EKGs oder Schlafapnoe-Screenings, die ich dann befunden kann. Das kann man dann auch zwischendurch mal unterbrechen, um nach den Kindern zu schauen. Auch Videosprechstunden kann ich von zu Hause aus durchführen. In gewissem Umfang ist also auch „Heimarbeit“ möglich.

Außerdem kann man sich in der Niederlassung in einer Gemeinschaftspraxis gut mit anderen Kolleginnen und Kollegen organisieren. Mein Mann und ich haben uns das so eingeteilt, dass wir vormittags immer zu zweit da sind und uns an den Nachmittagen in der Praxis abwechseln.

Sie hatten zunächst eine Einzelpraxis und führen diese Praxis jetzt gemeinsam mit Ihrem Ehemann. Wie kriegen Sie alles unter einen Hut?

In einer Einzelpraxis mit Familie ist es schwierig, das habe ich von 2013 – 2015 selbst erlebt. Ich sehe wirklich die großen Vorteile in der Kooperation. Denn dann kann jeder den anderen vertreten, man hat immer auch eine Notlösung, zum Beispiel, wenn ein Kind krank ist.

Seit mein Mann und ich die Praxis gemeinsam führen, haben wir sehr viel mehr Familienleben, das macht extrem viel Lebensqualität aus. In der Zeit, als mein Mann noch im Krankenhaus tätig war, mussten die Kinder ganztägig in die Betreuung, weil niemand zuhause war. Auch die Dienste im Krankenhaus waren ein Problem. Nachdem wir beide niedergelassen waren, haben wir nur noch die „Blockzeiten“ bis 14 Uhr im Kindergarten in Anspruch genommen.  Wir haben deutlich mehr Zeit mit den Kindern zusammen.

Und es gibt ja auch die Möglichkeit, die Dienste in der Bereitschaftsdienstpraxis abzugeben. So haben wir es im Moment gelöst, um mehr Familienzeit zu haben, v. a. an den Wochenenden. Es gibt viele Kollegen, die möchten mehr Dienste machen. Das hat uns auch sehr viel geholfen.

Wir haben zusätzlich den Vorteil, dass wir über unserer Praxis eine Wohnung haben, in der die Kinder sich aufhalten können. Das hat uns in der Coronazeit gerettet, denn wir haben ja immer gearbeitet. Das jüngste Kind konnte im Kindergarten in die Notbetreuung. Die älteren Kinder waren über Monate – damals 3. und 5. Schuljahr – zuhause. In diesem Alter läuft der online-Unterricht nicht von allein. Die Kinder waren dann in der Wohnung über der Praxis, wir haben zwar gearbeitet, konnten aber immer zwischendurch nach dem Rechten sehen.

Eine Kollegin hat beispielsweise ein privates Zimmer in der Praxis mit Kinderaufenthaltsraum und Spielecke, wo man das Kind mal betreuen kann, falls es nicht in den Kindergarten gehen kann oder zur Schule. Meist sind die Kinder ja nicht so krank, dass man ununterbrochen am Bett sitzen muss, sondern sie können einfach nicht in die Schule gehen, man kann sich da aber um sie kümmern. Das funktioniert auch durchaus im Praxisbetrieb.

Also zusammenfassend: Es hilft, wenn man eine Möglichkeit schafft, dass man das Kind auch mal mit zur Arbeit bringen kann.

Was macht die Niederlassung für Sie ansonsten attraktiv?

In der Hausarztpraxis hat man viele Möglichkeiten, schwerpunktmäßig tätig zu sein. Unabhängig von der Grundversorgung, die wir natürlich immer übernehmen. Ich glaube, das wird allgemein unterschätzt: Ich kann meine Interessen vertiefen und in meiner Praxis das anbieten, was ich gerne mache. Da ist z.B. die Palliativmedizin, also die Betreuung am Lebensende. Mein „Hobby“ ist die Reisemedizin, da habe ich auch eine Zusatzausbildung gemacht. Wir sind auch Gelbfieber-Impfstelle. Ich finde es sehr spannend, Menschen zu betreuen, die Fernreisen oder besondere Unternehmungen machen. Man hat da nicht nur mit kranken Menschen zu tun, man hört auch einfach interessante Lebensgeschichten.

Mein Mann interessiert sich mehr für Sportmedizin. Wir können unseren Patienten so zusätzlichen Service anbieten. Wir sind hier flexibler als bei einer Tätigkeit im Krankenhaus. Und haben immer die Möglichkeit, unser Angebot weiter auszubauen.

Das Thema aufwändige Haus- und Heimbetreuung wird häufig als Gegenargument für eine Tätigkeit im ambulanten Bereich genannt – besonders im ländlichen Bereich. Wie sehen Sie das?

Gerade bei uns auf dem Land ist das Thema wichtig, möglicherweise wichtiger als in der Stadt. Durch die Verkehrsanbindung ist da oft nicht gewährleistet, dass immobile Patienten die Praxis aufsuchen können. Man muss hier die Kräfte und Ressourcen bündeln, also nicht in zehn Heimen jeweils drei Patienten betreuen, sondern mit drei bis vier Heimen kooperieren, in denen man dann auch viele Patienten hat. Das lässt sich gut mit Kollegen in umliegenden Praxen koordinieren, auch was die gegenseitige Vertretung angeht.

Inwiefern unterscheidet sich eine Hausarztpraxis im ländlichen Raum von einer Praxis in der Stadt?

Wir leben wirklich sehr gerne hier, unsere Region hat einen hohen Freizeitwert. Ich finde es auf dem Land ideal für die Kinder, man kann hier viel unternehmen. Wir finden die Nähe zum Bostalsee und zum Nationalpark Hunsrück Hochwald einfach toll, die Wander- und Outdoormöglichkeiten. Mein Vater hatte hier schon die Praxis, ich bin hier aufgewachsen, ich mag die ländliche Region. Sicher ist man dann anders mit der Gegend und den Menschen verbunden.

Viele Patienten kennen mich seit meiner Kindheit. Das ist auch so eine Besonderheit, dass man die Menschen über Jahrzehnte kennt und auch über ihre Hintergründe und Familien Bescheid weiß. Das kann auch Vorteile für Diagnostik und Therapie bringen. Generell auch für Familien mit Kindern. Man hat ein gewachsenes Vertrauensverhältnis.

Natürlich sind die Anfahrtswege auf dem Land etwas weiter. Deshalb haben wir hier auch mehr das Thema Hausbesuche als in der Stadt. Hier gehört das einfach dazu. Als Landarzt muss ich aufgrund der weiteren Wege zum Facharzt noch besser einschätzen können, wann ich jemanden zum Facharzt schicken muss. Wir machen auch sehr viel Diagnostik vor Ort.

In der Stadt gehen die Leute eher selbstständig zum Facharzt. Dadurch sieht man in der Landarztpraxis aber u.U. ein deutlich vielfältigeres Bild, weil die Patienten mit allen Beschwerden erstmal zum Hausarzt gehen. Mit unseren diagnostischen Mitteln müssen wir dann klarkommen. Besonders wichtig ist die körperliche Untersuchung. Wir haben aber auch die Sonographie, ein Ruhe- und Belastungs-EKG, die Spirographie, LZ-RR, LZ-EKG, Schlafapnoe-Screening etc. Wir können echte Diagnostik machen. Gerade auf dem Land ist das wichtig.

In der Praxis gibt es doch auch die Möglichkeit, MFA weiterzubilden für arztentlastende Tätigkeiten. Nutzen Sie diese Möglichkeit?

Wir haben zwei Nicht-ärztliche Praxisassistentinnen (Näpa), die Routinetätigkeiten in Hausbesuchen übernehmen, z. B. Blutentnahmen, wenn die Leute nicht gut kommen können. Wir machen sehr rege Gebrauch von den VERAHs (Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis). Das ist auch etwas, was generell für die Praxistätigkeit wichtig ist. Man kann nicht alles selbst machen. Man braucht ein Team und muss mit dem Team zusammenarbeiten.

Wir haben zwei NÄPAS und eine Wundassistentin weitergebildet. Wir haben auch eine Diabetesassistentin, eine Hygienefachkraft und eine Abrechnungs-Fachkraft. Die Praxis ist auch ein Wirtschaftsbetrieb, das darf man nicht vergessen. Dieser Teil, also die Personalorganisation, macht mir aber auch Spaß.  Ich kann mein Team selbst zusammenstellen und gemeinsam klären wir, wo im Team welche Ressourcen stecken. Für die MFAs ist es natürlich auch befriedigender, mehr Verantwortung übernehmen zu können oder ihren eigenen Themenschwerpunkt haben. Wir haben z.B. auch Mitarbeiterinnen zu Impfassistentinnen ausgebildet. Eine MFA ist ausgebildet in Palliativ Care. In diesem Bereich besteht ein enormer Beratungs- und Gesprächsbedarf – nicht nur mit den Patienten, auch mit den Angehörigen. Dadurch dass die MFA ausgebildet ist in Palliativ Care kann sie ganz viele dieser Gespräche führen. Das entlastet mich spürbar. Da sind wir wieder bei der Zeit für die Familie.

Ich empfinde es als sehr großen Vorteil, wenn die MFAs Zusatzausbildungen haben, dadurch können wir viel mehr anbieten. Das ist das allerwichtigste, was man in der Praxis können muss: Zu delegieren.

Also kurz: Hier werbe ich mal für den Beruf der MFA: Wer Verantwortung übernehmen und mehr machen möchte, hat sehr viele Möglichkeiten.

Sie engagieren in der Förderung des ärztlichen Nachwuchses. Warum ist Ihnen das wichtig?

Ich möchte die Vielfältigkeit des Hausarztberufes nochmal rausstellen. Die Niederlassung bietet viele Möglichkeiten. Viele trauen sich diesen Schritt nicht zu. Das ist schade. Da bin ich mit vielen Kolleginnen und Kollegen einer Meinung.

Ich bin dafür, dass es die Pflichtpraktika gibt. Natürlich möchte man niemanden zwingen, aber alle Medizinstudierenden, die ich in meiner Praxis hatte, fanden die Tätigkeit im Nachhinein wesentlich interessanter als sie es vermutet hätten. Insbesondere was die oben aufgeführten diagnostischen Möglichkeiten und das Vertrauensverhältnis zu den Patienten angeht.

Bevor es das Zentrum für Allgemeinmedizin an der Medizinischen Fakultät der Universität des Saarlandes in Homburg gab, war die Hausarztmedizin nicht vertreten. Deshalb empfinde ich diese Einrichtung als echten Fortschritt.

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